Frei und vielschichtig, modern und mutig – Eileen Gray (1878–1976) war eine Künstlerin der Zwischentöne und eine Nonkonformistin. Als Gestalterin wie auch als Frau hielt sie sich weder im Beruf noch in der Liebe an starre Grenzen. Die gebürtige Irin und Kunststudentin aus wohl situiertem Hause zog Anfang des 20. Jahrhunderts nach Paris, wo sie zur frechen Garçonne mit Bubikopf und zur erfolgreichen Geschäftsfrau wurde.
Ein Leben ohne Kunst ist wie eine Quelle ohne Wasser.
Gold und Rot, Braun und Schwarz sind die Farben dieser Zeit: In ihren Zwanzigern schuf Eileen Gray japanisch beeinflusste Lackarbeiten und stellte ein laszives Boudoir aus. Ihre vom Art-déco-Stil geprägten Möbel aus edlen Hölzern begeistern die avantgardistischen Zirkel des Rive Gauche in der französischen Metropole. In diesem flirrenden „linken Ufer“ findet Eileen Gray nicht nur große Lieben, Freiheit und Inspiration, sondern auch erste Kund:innen, die vor allem ihre modernen Teppiche lieben.
Von 1909 bis 1930 betrieb Eileen Gray mit einer Freundin verschiedene kleine Webereien, in denen ihre abstrakten Teppichentwürfe gefertigt wurden. Als Webvorlagen dienten kleinformatige Bilder, die sie mit matt deckenden Wasserfarben auf Papier malte.
Außer solchen Gouachen fertigte Eileen Gray Collagen. Mit dieser Technik ließen sich einzelne geometrische Elemente wie Viereck oder Kreis verschieben, um Gestaltungsvarianten zu testen.
Jeder Entwurf war eine besondere Herausforderung, weil ein Teppich im Unterschied zu einem Bild kein klares Oben oder Unten, Rechts und Links kennt. Von allen Seiten betrachtet muss er gut aussehen. Außerdem sollte die Vorlage auch noch zehn- bis zwanzigfach vergrößert und geknüpft dieselbe Wirkung entfalten. Dafür entwickelte die studierte Malerin einen untrüglichen Blick und ein besonderes Gespür.
Die klassische Moderne hatte sich jeglicher muffigen, plüschigen Interieurs radikal entledigt. Als experimentierfreudige Gestalterin holte Eileen Gray die Teppiche zurück ins Haus; in modernen Farben und mit grafischen Mustern, gingen sie mit ihren Möbeln eine fast symbiotische Beziehung ein. In einem Artikel aus dem Jahr 1929 postulierte Eileen Gray, dass ein „Raum für Rückzug und Ruhe“ und „eine harmonische Atmosphäre“ erst „ein Zuhause für Menschen schaffen“ würden, und dazu gehörten für sie auch diese Wohntextilien.
Beige und Sand, solche Naturtöne waren bei den Käufer:innen besonders gefragt. Schon ab 1904 hatte Eileen Gray auf Reisen und Feldstudien in Nordafrika diese warmen Farben ebenso wie ihre Liebe zum Teppichdesign entdeckt. Von alters her dienen gewebte Kunstwerke in Innenräumen als Schmuckstücke an Wänden, markieren verschiedene Lebensbereiche, verbessern die Akustik und wärmen die Fußböden.
Dicke Teppiche sah Eileen Gray auch im Apartment in der Rue de Lota vor, dem ersten Apartment, das sie ab dem Jahr 1919 für die Modeschöpferin Juliette Mathieu-Lévy komplett gestalten durfte. Mutig setzte Eileen Gray jetzt im Innenraum vor allem auf Schwarz und Weiß, Silber und Grau. Hier seien „Träume in Räume übersetzt“, jubelte eine Kritikerin.
Der vielbeachtete Großauftrag motiviert die damals 44 Jahre alte Gestalterin im Jahr 1921 eine eigene Galerie mit dem männlich klingenden Namen Jean Désert zu eröffnen. Das strahlte Kompetenz aus in einer Zeit, in der eine Designerin, noch dazu eine Autodidaktin, eine exotische Ausnahme war. Gesellschaftliche Vorurteile hat Eileen Gray in ihrem beruflichen wie auch privaten Leben unterlaufen, indem sie mutig mit Identitäten spielte.
Weiß und Schwarz, Silber und Grau dominieren auch die Innenräume des neuen Geschäftes; statt glänzenden Holzes blinkt nun das blanke Stahlrohr an Möbeln und Einbauten. Das uneindeutige „Désert et Gray“ ziert den Briefkopf der Galerie: Performing gender, die fluide Inszenierung von Geschlecht und Identität, bleibt weiter ein Motiv in der Mitte ihres Lebens. Damit spielt auch der Clubsessel Bibendum, den sie 1926 entwirft. Dieser Insignie der Zigarren rauchenden und Auto fahrenden Old-Boy-Netzwerker haut sie die schweren Füße weg und ersetzte sie durch einen luftigen Unterbau aus Stahlrohr – das freche Statement einer Frau, die gern Hosenanzüge trägt, Frauen wie Männer liebt und selbst Auto fährt.
Stillstand kannte Eileen Gray nicht, und so ging sie mit ihrer neuen Muse, dem Architekten Jean Badovici, an die Côte d’Azur. Er hatte die in seinem Metier noch unerfahrene Gefährtin ermutigt, dort zu bauen. 1929 vollendete sie an der Mittelmeerküste nahe Monaco ihre Villa E1027, heute das ikonische Gray’sche Gesamtkunstwerk schlechthin.
Blau, Gelb und Weiß – die mediterranen Sommerfarben strahlten in dieser glücklichen Zeit besonders hell für Eileen Gray, deren Arbeit Badovici öffentlich macht. Eine komplette Ausgabe seiner Zeitschrift L’Architecture vivante widmete er 1929 der nun stolzen Architektin Eileen Gray und ihrem gestalterischen Manifest. Neue Teppichmotive wie Blue Marine oder Centimetre erzählen damals vom Meer und von Schiffsreisen, bald auch in einem zweiten Haus im nahen Castellar, in dem sie nach der Trennung von Badovici ab 1940 allein lebte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, währenddessen auch Eileen Gray als Architektin und Designerin in Vergessenheit geriet, arbeitete sie diszipliniert weiter, bis ins hohe Alter, auch ohne Aufträge. Das Zeichnen, Collagieren und Malen, das sie ihr Leben lang nicht aufgab, waren tröstende Tätigkeiten für sie. Eileen Gray blieb eine „private Malerin“, ihre Bilder hat sie nie öffentlich ausgestellt.
Kurz vor ihrem Tod vernichtete sie die meisten privaten Unterlagen, auch unzählige Fotos und Briefe. Doch die Skizzen, Gouachen und Collagen, die ihr geblieben waren, bewahrte sie sorgfältig auf. Viele sind „ohne Titel“, andere tragen die Namen von Sagengestalten oder erinnern an ihre Lebensstationen, Bonaparte zum Beispiel an die Straße, in der ihr Pariser Apartment lag. Und weil sie immer sehr kritisch und streng mit sich selbst gewesen war, musste sie diese Arbeiten, die so vielfarbig wie ihr Leben sind, am Ende doch für Wert befunden haben, sie selbst zu überleben.
Die Künstlerin hinterließ der Welt eine Sammlung abstrakter Bilder, sorgfältig auf Karton geklebt, auf der Rückseite mit einem Zettel beschriftet, einige auch signiert. Als 1972 der Nachlass von Jacques Doucet zur Versteigerung kommt, der einer der ersten und der vielleicht wichtigste Käufer aus ihren Pariser Anfängen war, wird der Welt und wohl auch Eileen Gray selbst zum ersten Mal die wirkliche Bedeutung ihres Werkes bewusst: Der Lackwandschirm Le Destin erzielt einen Rekordpreis von 18.000 britischen Pfund.
Im selben Jahr verleiht ihr die englische Royal Society of Arts den Titel Royal Designer of Industry (RDI). Zum Festakt erscheint Eileen Gray nicht, Selbstdarstellung ist ihre Sache nie gewesen. Wenige Jahre nach diesem späten Ruhm verstarb Eileen Gray 1976 im Alter von 98 Jahren in ihrer Wahlheimat Paris.
Grün ist Irlands Nationalfarbe. In einigen Bildern und insbesondere dem Teppich Kilkenny hat Eileen Grays Heimatinsel Spuren hinterlassen. Dass sie in der irischen Hauptstadt „etwas von Dauer bekomme“, davon hatte die Gestalterin noch geträumt. 2002, ein Vierteljahrhundert nach ihrem Tod, ging dieser Traum in Erfüllung: mit der Gray-Ausstellung im Dubliner National Museum of Ireland, deren Eröffnungsplakat ein Foto des Sessels Non Conformist zierte.
Grün ist auch die Farbe der Hoffnung, und die verließ die hochbetagte Eileen Gray in Bezug auf ihre malerischen Arbeiten nie. Dass aus „alten Entwürfen“ noch einmal neue textile Kunstwerke entstehen würden, hatte sie immer gehofft. Nachdem Aram Designs Ltd. im Jahr 2003 und ClassiCon 2004 erste Teppiche nach ihren Entwürfen in die Kollektion aufgenommen haben, führt die aktuelle Ausstellung genau diesen letzten Wunsch von Eileen Gray nun weiter fort.
Autorin: Charlotte Kerner, Lübeck 2023
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